Mehr als ein Windhauch
Bild: Francesco Luca Labianca, via Unsplash
Im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt haben sich der Landrat, der Oberbürgermeister der Lutherstadt Wittenberg sowie die Bürgermeisterin und die Bürgermeister des Landkreises gemeinsam darauf verständigt, ab dem heutigen Tag des Grundgesetzes an allen öffentlichen Gebäuden, wo es technisch möglich ist, dauerhaft die deutsche Flagge zu hissen.
Die Entscheidung fällt nicht im luftleeren Raum – sie folgt auf mehrere Anträge von kommunalen AfD-Fraktionen in Sachsen-Anhalt, die eben genau diese dauerhafte Beflaggung fordern.
Man kann dieses Vorgehen unterschiedlich deuten: Als vorauseilenden Gehorsam gegenüber einer Partei, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird – oder als bewusste Eigeninitiative, die den AfD-Faschos den Wind aus den Segeln nehmen will. Denn in der Regel geht es der AfD bei solchen Anträgen nicht um Inhalte, sondern um die Wirkung – um Bilder, die hängen bleiben. Wie man persönlich dazu steht, mag verschieden sein. Aber eines ist klar: Nicht die Flagge ist unser Problem – sondern die AfD.
Als Bündnisgrüner begrüße ich grundsätzlich jedes klare Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Gerade in Zeiten, in denen autoritäre Kräfte erstarken und versuchen, staatliche Symbole für ihre Zwecke zu vereinnahmen, ist Haltung gefragt. Die Erklärung des Landkreises Wittenberg verweist ausdrücklich auf das Grundgesetz, auf die Menschenwürde, auf die Gleichwertigkeit aller Menschen. Das ist nicht nur richtig, es ist dringend notwendig.
Doch ich finde: Wir sollten als Demokrat*innen weiterdenken. Was heißt es eigentlich, Demokratie sichtbar zu machen? Reicht es aus, eine Flagge zu hissen – dauerhaft und gut sichtbar – um ein Zeichen zu setzen? Oder bleibt es am Ende ein symbolischer Akt, der mehr behauptet als bewirkt?
Natürlich haben Symbole ihre Bedeutung. Aber sie allein schaffen keine demokratische Kultur. Sie ersetzen keine politische Bildung. Sie stiften keine Orte des Austauschs. Sie ermöglichen keine echte Beteiligung. Gerade in ländlichen Regionen erleben wir, wie zentral erfahrbare Demokratie ist – im Alltag, in der Schule, im Ehrenamt, in der Verwaltung. Und wie schnell sie fragil wird, wenn sie dort fehlt.
Deshalb dürfen wir auch Entscheidungen wie die im Landkreis Wittenberg hinterfragen: Wird hier echte Verantwortung übernommen – oder politischer Druck abgefedert? Ist es einfacher, eine Flagge aufzuhängen, als sich ehrlich mit demokratischen Defiziten auseinanderzusetzen? Mit fehlender Teilhabe. Mit ungleichen Bildungschancen. Mit mangelnder Anerkennung von Vielfalt.
Was also tut der Landkreis – über das Hissen einer Flagge hinaus – für unsere Demokratie?
Wer Demokratie wirklich schützen will, muss mehr tun, als sie zu zeigen. Er oder sie muss sie gestalten – sozial gerecht, ökologisch verantwortlich, offen für alle Menschen. Das bedeutet: nicht nur zu verwalten, sondern Räume zu schaffen. Nicht nur auf Angriffe zu reagieren, sondern demokratische Prozesse zu stärken.
Meine Vision ist eine Demokratie, die nicht nur weht – sondern wirkt. Spürbar im Alltag. In fairer Verwaltung. In offenen Diskursen. In lernenden Schulen. In lebendigen Orten der Begegnung.
Denn eines ist sicher: Eine Flagge allein macht noch keinen demokratischen Staat. Aber eine lebendige Demokratie braucht Menschen, die sich kümmern – sichtbar und wirksam.