Corona als Chance
Momentan geistert das politische Schlagwort der ›neuen Normalität‹ durch die Debatten über den Umgang mit der Corona-Pandemie. Dieser 2018 durch den österreichischen Sprachphilosophen Paul Sailer-Wlasits eingeführte Begriff ist jedoch unpassend für die aktuelle Krisensituation. Zum einen, da wir es mit einer Krise zu tun haben, die stets einen Ausnahmezustand beschreibt. Zum anderen, weil Krisen Reformbedarf sichtbar machen, der verändernde Anstrengungen nach sich zieht. Normalität ist immer post-existent.
Der operative Alltag in einem Coworking Space war bereits vor der Krise von einem steten Wandel gekennzeichnet. Was nachgefragt wurde, konnte sich zweimal im Jahr komplett ändern. Mit Veränderungen kennen sich Coworking-Betreiber also aus, denn sie erleben sie ständig. Wir alle leben in einer VUKA-Welt. Sie ist geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz/Ambiguität. Das tun wir schon eine ganze Weile, doch die Coworking-Branche war sich dessen früher bewusst als andere.
Bisher gab es drei Säulen im Geschäftsmodell eines Coworking Spaces: Mitgliedschaften, Vermietung von Büroräumen und buchbare Veranstaltungsflächen für Events und Meetings. Mitgliedschaften funktionieren aufgrund der allgemeinen Homeoffice-Frustration auch in der Krise gut. Ähnlich sieht es bei Büroräumen aus, da nun auch hier mehr Flexibilität gefragt ist. Allerdings brach die dritte Säule durch Corona komplett weg. Und das womöglich für immer.
Dies traf die Coworking Spaces sehr unterschiedlich, da der Anteil von buchbaren Veranstaltungsflächen am Gesamtumsatz zwischen zehn und 80 Prozent liegen kann. Das hängt zum einen von der Gebäudestruktur ab und zum anderen von der Lage des Coworking Spaces. Die Nachfrage nach solchen Flächen war in den Metropolen groß, wo es viele Unternehmen gibt. Große urbane Coworking Spaces leiden deshalb unter dem Wegbrechen der Event-Einnahmen viel stärker als Coworking Spaces in der Peripherie oder auf dem Land.
Viele bekannte Coworking-Marken in den Metropolen, die bisher hohe Mieten akzeptieren konnten, sind dadurch ins Straucheln geraten. Die großen und teuren Event-Flächen rechnen sich nun nicht mehr für sie. Sie suchen deshalb nach neuen Geschäftsfeldern und scheinen eines bereits gefunden zu haben: die Verwaltung von nicht genutzten Arbeitsplätzen in Unternehmen. Das »St. Oberholz«, das künftig kein Coworking mehr betreiben will, versucht dies beispielsweise — bislang aber offenbar noch mit geringem Erfolg.
Das Berliner »betahaus« versucht etwas Ähnliches und hat eine sehr interessante HQ-Strategie für Unternehmen entwickelt. Diese können ihre Zentrale ins Betahaus verlagern und dann zusammen Satellitenstandorte für das Unternehmen entwickeln, die vom Betahaus betrieben werden. Kleinere Coworking Spaces, in der Peripherie und im ländlichen Umland von Metropolen, hoffen, statt eigener Satelliten von Unternehmen selbst ein Standort in der Remote-Strategie eines dezentralen Unternehmens zu werden.
Aufgrund der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht ist unklar, wie es den Coworking Spaces wirklich geht. Viele berichten von angesammelten Mietschulden. Bisher haben erst etwas mehr als ein Dutzend Coworking Spaces aufgrund von Corona aufgegeben. Dreimal so viele sind in den letzten zwölf Monaten neu gegründet worden. Noch gibt es also Hoffnung. Auffällig ist, dass gerade rurale Coworking Spaces von den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu profitieren scheinen. Doch darüber schreibe ich in meiner nächsten Kolumne.