Über die Vorläufer der Coworking Spaces
Wo liegen die Ursprünge des Coworking? Ein guter Historiker findet Vorläufer für alles. Aber ein besserer Historiker weiß, wann es sich bei diesen Vorläufern um bloße Kuriositäten handelt. Es gibt viele selbsternannte Mütter aller Coworking Spaces, doch wahre Vorläufer sind meines Erachtens nur die Orte, an denen die Coworking-Prinzipien Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit bereits vor dem Begriff Coworking auch gelebt wurden. Und davon kennt die Geschichte vor allem zwei Orte.
In der Renaissance arbeiteten auf Einladung eines Meisters Handwerker, Ingenieure und Künstler in den Werkstätten von Florenz, den Botegas, zusammen an ihren Projekten. Zwar für sich allein, jedoch teilten sie untereinander ihr Wissen über Prozesse und Techniken. So wie es heute noch, mit Laptop statt Meißel und Pinsel, in Coworking Spaces vorkommt. In den Botegas entstand ein Unternehmertum, das durch interdisziplinäre Zusammenarbeit revolutionäre Wege des Arbeitens und des Designens erfand. Die Verbindung zu Offenheit und Gemeinschaft wurde erst später in den Kaffeehäusern entwickelt, die ab dem 16. Jahrhundert ihren Weg über Konstantinopel und Venedig nach Wien fanden. Zu Beginn ein Ort für Händler aus aller Welt, die bei einer Tasse Kaffee gemeinsam philosophierten und diskutierten, wurden sie zu Orten des kreativen Austauschs unter Gleichgesinnten. Dieses einzigartige Miteinander des Wiener Kaffeehauses wurde 2011 als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt. Coworking entstammt dieser Kaffeehauskultur.
Das Distinktionsmerkmal der Coworking Spaces zu anderen Orten der (Zusammen)Arbeit stellt aber gar kein Ort dar, sondern eine Zugang ermöglichende Technologie: das Wi-Fi. 2004 löste der WLAN-Sicherheitsstandard WPA seinen unsicheren Vorgänger WEP ab. Dadurch wurden drahtlose Verbindungen alltagstauglich, Wi-Fi-Module standardmäßig in Laptops verbaut und diese preiswerter. Jetzt war es möglich, von überall zu arbeiten. Brad Neuberg lud deshalb in einem Blogpost vom 9. August 2005 andere Entwickler in sein »San Francisco Coworking Space« ein, um gemeinsam statt einsam zu arbeiten. Es handelte sich dabei zwar nur um einen Raum im feministischen Gemeindezentrum »Spiral Muse«, der an zwei Tagen die Woche genutzt werden konnte, aber die Idee war in die Welt gesetzt.
Neuberg gilt durch diesen Blogpost als Begründer der Coworking-Bewegung. Jedoch ist er nur der Mensch, der als erster über Coworking gebloggt hat. Die gleiche Idee hatten im Sommer 2005 auch andere. Bereits im Juli eröffnete in Berlin das »St. Oberholz« als ein Café mit Wi-Fi, von wo aus Menschen arbeiteten. Genau wie im Kopenhagener »Republikken«, das im September eröffnete. Coworking wurde nicht von einem Menschen an einem Ort erfunden. Als es technisch möglich war, seinen Arbeitsort frei zu wählen, passierte das weltweit. Hierzulande nannte man das noch nicht Coworking. Einige Visionäre träumten damals noch von großen Hallen, in denen Freelancer zusammen arbeiteten.
Erst mit dem Berliner »betahaus«, dem ersten Coworking Space Deutschlands, wurde das Konzept und der Begriff ab 2009 auch in Deutschland bekannt. Inzwischen gibt es mehr als 800 Coworking Spaces in Deutschland. Der Coworking-Boom hat Kuriositäten wie »WeWork« hervorgebracht, aber die Idee auch in den ländlichen Raum vordringen lassen. Dann jedoch brach Covid-19 aus und alles scheint sich zu ändern. Doch darüber schreibe ich in meiner nächsten Kolumne.