Urbanes Coworking muss sich rückbesinnen
Zu den sehr schlecht gealterten Wahrheiten der Berliner Coworking-Branche gehören die Aussagen, dass es sich unter 2.000 Quadratmetern gar nicht lohnt, einen Coworking Space in Berlin zu betreiben, und dass ein Coworking Space in der Hauptstadt innerhalb von sechs Wochen voll ist. Beides stimmte einmal, aber diese Zeiten sind vorbei. Dass Coworking Spaces immer größere Flächen für immer größere Teams aus Unternehmen angemietet haben, war in meinen Augen eine Fehlentwicklung, die von der Corona-Pandemie bestraft wurde.
In den Anfangstagen der deutschen Coworking-Szene ging es darum, neue Orte der Zusammenarbeit für ähnlich arbeitende Menschen zu schaffen. Zu den ersten Nutzern des St. Oberholz, einem Café am Rosenthaler Platz, gehörten Selbstständige, Freelancer und Freischaffende aus der Nachbarschaft. Das betahaus entwickelte den Coworking-Gedanken weiter und schuf Räume für Start-ups. Diese Zielgruppen waren sehr homogen und ähnelten einander in ihren Bedürfnissen, auf die die Coworking Spaces ausgerichtet waren.
Dies änderte sich, als Unternehmen Coworking Spaces für sich entdeckten. Die dorthin entsendeten Angestellten hatten sich diese Orte nicht mehr selbst ausgesucht, sondern die Vorgesetzten entschieden, dass ein Team ab jetzt in diesem oder jenen Coworking Space arbeiten würde. Die Interessen der Unternehmen waren vielen Coworking Spaces nun wichtiger, denn es ließ sich auf einmal gutes Geld mit sehr kleinen Team-Räumen verdienen. In der Folge wuchsen diese Coworking Spaces, um die wachsende Nachfrage zu stillen.
Corona beendete diese Entwicklung, in der manche Betreiber immer größere Flächen zu immer teureren Quadratmeterpreisen anmieteten. Als man auf der Fläche kein Geld mehr verdienen konnte, zerplatzte der Traum vom schnellen Profit. Geblieben sind hohe Mietschulden. Einige Anbieter versuchten, diese zu vermeiden. Der Unicorn Workspace in Potsdam wurde in ein anscheinend lukratives Corona-Testzentrum umgewandelt. Anders in Berlin-Neukölln: Dort zog die IWG die Reißleine und schloss das Spaces in der Alten Post.
Ich bin davon überzeugt, dass wir bisher erst die Spitze des Eisberges gesehen haben. In den nächsten Monaten werden Coworking Spaces in den Großstädten schließen, da nun wieder die Insolvenzmeldepflicht gilt, oder sich zumindest verkleinern, also Standorte aufgeben. Ein Ausweg könnte auch der Exit sein, also der Aufkauf durch Betreiber mit Investorengeldern. Bleiben werden hauptsächlich die kleineren Coworking Spaces, die weniger Fläche angemietet haben und oft da sind, wo die Menschen leben, also in den Nachbarschaften.
Der Soziologe Bernd Hamm definierte Nachbarschaft als eine ›soziale Gruppe, deren Mitglieder primär wegen der Gemeinsamkeit des Wohnortes miteinander interagieren‹. Coworking Spaces in den Quartieren können davon profitieren, was auch immer mehr Wohnungsbaugesellschaften verstanden haben. Wenn kaum noch jemand in die Büros in der Innenstadt pendelt, die Wohnungen fürs Homeoffice aber zu klein sind, braucht es Alternativen wie nachbarschaftliche Coworking Spaces, die das Soziale in den Fokus stellen.
Ähnlich wie im ländlichen Raum und in Kleinstädten können Coworking Spaces innerhalb einer Nachbarschaft positive Sekundäreffekte für die Menschen erzielen. Denn auch innerhalb einer Stadt wie Berlin pendeln diese bis zu einer Stunde pro Fahrtrichtung und fehlen in ihren Quartieren als Konsumenten und nach Feierabend als engagierte Akteure. Wir müssen dafür Coworking Spaces weniger als flexible Bürofläche für Unternehmen im Zentrum und wieder mehr als Orte des Miteinanders, dort wo die Menschen leben, betrachten lernen.