2021-08-02

Neue Arbeits- und Lebendsmodelle auf dem Land

Während der Corona-Pandemie stellte ich einen Riss in meinem Verhältnis zur Stadt fest. Zwar war ich noch nie ein Fan von Berlin — wie so oft war es auch bei mir die Liebe, die mich hierhin verschlug –, doch muss ich einräumen, dass ich mich in Berlin auch niemals langweilte. Zumindest nicht bis zum ersten Lockdown im vergangenen Jahr. Mit der Einschränkung der positiven Seite des Stadtlebens, allem voran der schier endlosen Auswahl an Kultur und Unterhaltung, verlor das einst Freiheit versprechende Stadtleben an Attraktivität.

Stadtluft macht frei, hieß es schon im Mittelalter. Auch in den letzten Jahrhunderten verlor die Stadt nicht an Attraktivität. Die Industrialisierung führte zu einer Landflucht der Menschen in die Arbeit versprechenden Städte. Aus Sicht der Soziologie ist die Industrialisierung damit zum Städtegründer“ geworden, was die Urbanisierung mitprägte. Doch diese Entwicklung scheint nun ein jähes Ende zu finden oder zumindest immer öfter hinterfragt zu werden. Der Grund dafür ist aber nicht allein die Corona-Pandemie.

In einer sich durch Dienstleistungen definierenden Wirtschaft bringt die Digitalisierung der Arbeitswelt Initiativen für neues Leben und Arbeiten auf dem Land wie das KoDorf hervor. Dies ist ein genossenschaftliches Wohn- und Arbeitsprojekt, das in Wiesenburg (Mark) entsteht und die erste Dorfgründung in Brandenburg seit dem Dreißigjährigen Krieg darstellt. In Erndtebrück in Nordrhein-Westfalen, am Rande des Rothaargebirges, ist bereits ein zweites KoDorf geplant. Die Digitalisierung wird damit zum Dorfgründer“.

Mein persönliches Empfinden, dass die Stadt nicht mehr der alleinige Heilsbringer ist, haben auch andere. In den letzten Monaten gab es viele Meldungen, die eine Stadtflucht in Deutschland feststellten. Suburbanisierung nennt man das, die Abwanderung städtischer Bevölkerung, auch städtischer Funktionen, in das Umland und darüber hinaus. Dies hat auch eine stärkere Nachfrage nach Coworking und damit mehr Gründungen von Coworking Spaces im ländlichen Raum zur Folge.

Für die im November letzten Jahres erschienene Studie der Bertelsmann Stiftung »Coworking im ländlichen Raum« haben die Autoren der CoWorkLand eG (Offenlegung: Ich bin seit April 2021 bei der CoWorkLand eG angestellt.) die Coworking-Szene im ländlichen Raum in rund 200 qualitativen Interviews erforscht und analysiert. Ihre Ergebnisse geben einen Einblick in die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Coworking Spaces auf dem Land. Sie zeigen, wer diese Orte nutzt und warum von da statt in der Stadt gearbeitet wird.

Coworking Spaces auf dem Land unterscheiden sich von denen in der Stadt zum einen dadurch, dass sie besser durch die Corona-Pandemie kommen, zum anderen durch eine heterogenere Nutzergruppe und eine größere Vielfalt in den Geschäftsmodellen. Nur Büros zu vermieten, wenn viele auch Homeoffice im Eigenheim machen können, oder nur von Community zu reden, wenn viele sowieso in der Freiwilligen Feuerwehr, dem Gesangsverein oder bei den Landfrauen vernetzt sind, reicht hier nun einmal beileibe nicht aus.

Erst auf dem Land beweist Coworking seine gesellschaftliche Relevanz. Durch dezentrale Arbeitsorte müssen Menschen weniger pendeln, was Zeit, Stress und Verkehrsemissionen reduziert. Zugleich hält es die Leute tagsüber im Ort, wo sie konsumieren, sich aber auch nach Feierabend engagieren können. Auf dem Land, im Gegensatz zur Großstadt, wird Coworking deshalb als positiv wahrgenommen. Urbanem Coworking geht zum Teil der Sinn verloren. Doch darüber schreibe ich in meiner nächsten Kolumne.

Dieser Text erschien in »Office Roxx« 3/21.


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