Stillstand durch Besitzstand
Gestern Abend war ich in der Domstadt Naumburg zu Gast, um mich im Vorstand des bündnisgrünen Kreisverbands Burgenlandkreis als Kandidat für den Landesvorsitz vorzustellen. Im Anschluss blieb ich noch beim Mitgliederstammtisch – ein offenes und lebendiges Gesprächsformat, das ich sehr schätze. Dabei kam auch ein lokalpolitisches Thema zur Sprache, das mich auf dem Heimweg weiter beschäftigte: Der Naumburger Oberbürgermeister weigert sich, in der Stadt einen Selbstbedienungsterminal der Bundesdruckerei aufstellen zu lassen. An solchen Terminals können Bürger*innen direkt vor Ort digitale Passbilder erstellen, um damit ihre Ausweisdokumente zu beantragen.
Bild: Bundesministerium des Innern und für Heimat; Bundesdruckerei GmbH
Die Begründung des Bürgermeisters: Man wolle die lokalen Fotostudios vor Konkurrenz schützen. Der Terminal wurde daraufhin in den Ortsteil Bad Kösen ausgelagert – einen Ort, in dem es keine entsprechenden Geschäfte gibt. Das klingt zunächst verständlich, vielleicht sogar fürsorglich. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine politische Haltung, die das Allgemeinwohl hinter Besitzstandswahrung zurückstellt.
Ein solcher Terminal ist kein Angriff auf lokale Unternehmen, sondern ein kleiner, aber konkreter Schritt hin zu einer bürgernahen und modernen Verwaltung. Er vereinfacht Verfahren, verkürzt Wege und Wartezeiten und sorgt dafür, dass Passbilder den biometrischen Anforderungen zuverlässig entsprechen. Vor allem aber erleichtert er den Menschen den Zugang zu staatlichen Leistungen – durch mehr Komfort, geringere Kosten und weniger Bürokratie. Genau das sollte der Anspruch kommunalen Handelns sein.
Dass dieser Fortschritt nun blockiert wird, um vermeintliche wirtschaftliche Interessen zu schützen, ist nicht nur enttäuschend, sondern auch kurzsichtig. Denn die Annahme, dass lokale Fotostudios durch solche Terminals ernsthaft bedroht würden, hält einer nüchternen Betrachtung kaum stand. Passbilder machen nur einen kleinen Teil ihres Portfolios aus. Wer professionelle Bewerbungsfotos, Porträts oder kreative Auftragsarbeiten braucht, wird auch weiterhin auf handwerkliche Fotografie setzen – nicht auf einen Automaten in der Behörde.
Statt also den technologischen Wandel zu verteufeln, sollten wir die betroffenen Betriebe bei ihrer Weiterentwicklung unterstützen. Das kann durch gezielte Wirtschaftsförderung, Qualifizierungsangebote oder neue Partnerschaften mit der Kommune geschehen. Denn die echte Antwort auf den digitalen Wandel liegt nicht im Aufhalten der Zeit, sondern im aktiven Gestalten.
Natürlich ist der Schutz und die Stärkung lokaler Unternehmen ein wichtiges Anliegen. Aber nicht auf Kosten der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wer heute Innovationen verhindert, riskiert morgen den Anschluss – für die Verwaltung, für die Stadtgesellschaft und auch für die Betriebe selbst.
Naumburg steht damit exemplarisch für ein Dilemma, das in vielen Kommunen in Sachsen-Anhalt zu beobachten ist: Die Angst vor Veränderung ist oft größer als der Wille zur Gestaltung. Doch gerade in einer Zeit, in der Vertrauen in Staat und Verwaltung kein Selbstläufer mehr ist, sollten wir uns fragen, welche Signale wir setzen. Politik sollte nicht bremsen, sondern ermöglichen – im Interesse der Menschen, nicht der Besitzstände.